Laryngorhinootologie 2002; 81(S1): 24-38
DOI: 10.1055/s-2002-25045
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Stammzellbiotechnologie - Revolution etablierter Therapieverfahren?

S.  Dazert 1 , A.  M.  Müller 2
  • 1 Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Direktor: Prof. Dr. J. Helms)
  • 2 Institut für Medizinische Strahlenkunde und Zellforschung, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg
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Publication Date:
12 April 2002 (online)

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1 Einleitung

Die Diskussion über die Stammzellbiologie und deren Möglichkeiten und Grenzen gehören derzeit zu den kontroversen Themen in den Grundlagenwissenschaften, der Medizin, der Politik und der breiten Gesellschaft. Aktuelle Erkenntnisse und Techniken in der Zell- und Molekularbiologie eröffnen prinzipiell neue Möglichkeiten, verschiedenartige Zellen und Gewebe zu erzeugen sowie bisher unverstandene Entwicklungsprozesse der Gewebeentstehung und Organogenese sowie deren Erhaltung und Regeneration näher zu untersuchen. Für die Medizin könnten sich durch den Einsatz embryonaler und somatischer Stammzellen, neue kausale Behandlungsstrategien für bisher nur begrenzt therapierbare Erkrankungen ergeben. Offen bleibt derzeit, welcher therapeutische Nutzen von diesen neuen Methoden erwartet werden darf und welche medizinischen, ethischen und rechtlichen Gesichtspunkte bei deren Anwendung am Menschen zu bedenken sind.

Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung … 24 2 Was sind Stammzellen? … 25 3 Entwicklung von Stammzellsystemen während der Ontogenese … 26 4 Stammzelltypen … 26 4.1 Embryonale Stammzellen (ES-Zellen) … 26 4.2 Somatische (adulte) Stammzellen … 28 4.2.1 Hämatopoetische Stammzellen … 28 4.2.2 Neuronale Stammzellen … 29 4.2.3 Mesenchymale Stammzellen … 29 5 Plastizität somatischer Stammzellen … 30 6 Anwendung der Stammzellbiologie in der HNO-Heilkunde … 31 6.1 Mögliche Bedeutung der Stammzellbiologie für die HNO-Heilkunde am Beispiel des Innenohres … 31 6.1.1 Bedeutung neurotropher Faktoren und anderer Molekülefür Differenzierung und Funktionserhalt cochleärer Zellen … 31 6.1.2 Ist eine Regeneration sensorischer und neuraler cochleärer Zellen aus Stammzellen vorstellbar? … 33 6.1.3 Möglichkeiten zur Erzeugung autologer Stammzellen 6.2 Ersatz anderer Gewebe im Kopf-Hals-Bereich aus Stammzellen … 35 7 Ethisch-rechtliche Gesichtspunkte … 35 8 Entscheidende wissenschaftliche Fragen … 35 9 Ausblick … 36 10 Literatur … 36

Der erwachsene Säugetierorganismus setzt sich aus etwa 200 verschiedenen, hoch spezialisierten Zelltypen zusammen, die zum Teil nur sehr bedingt zur Regeneration fähig sind. Stammzellen bilden und erhalten eine Vielzahl dieser Zellen und gewährleisten somit die Homöostase vieler Gewebe und Organe. Während der Embryonal- und Fetalentwicklung bilden Stammzellen durch Differenzierung zu spezialisierten Effektorzellen den entstehenden Organismus. Die toti- und pluripotenten Zellen des Embryos besitzen ein breites Entwicklungspotenzial, das nach bisheriger Lehrmeinung bei den somatischen Stammzellen adulter Gewebe größtenteils verloren gegangen ist. Im Gegensatz zu Salamandern, bei denen nach Amputation komplett neue Gliedmaßen gebildet werden, ist diese Fähigkeit bei den höher entwickelten Säugern nicht mehr ausgebildet. Beim Säuger wurden adulte Stammzellen beispielsweise im Knochenmark, im Darm, in der Haut, im Muskel und auch im Gehirn nachgewiesen. Diese gewebespezifischen Stammzellen können differenzierte Zellen ihres Ursprungsgewebes regenerieren.

Neuere Daten zeigen jedoch ein modifiziertes Bild, das auch Stammzellen aus adulten Geweben überraschend große Entwicklungsfähigkeiten zuweist. So können neurale und Muskelstammzellen Blutzellen bilden, während Blutstammzellen in vivo Gehirn- und Muskelzellen erzeugen können. Dies zeigt, dass gewebespezifische Stammzellen ein erstaunlich großes Entwicklungs- und Differenzierungspotenzial besitzen, wobei jedoch unklar ist, wie ausgedehnt die Entwicklungsfähigkeiten adulter Stammzellen wirklich sind und welche Mechanismen die Bildung gewebefremder Zelltypen unterstützen.

In der vorliegenden Arbeit soll ein Überblick über den aktuellen Kenntnisstand der Biologie embryonaler und somatischer Stammzellen gegeben und auf eine mögliche Nutzung als Ausgangszellen für regenerative Zellsysteme in der Medizin, insbesondere in der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, eingegangen werden.

10 Literatur

Priv.-Doz. Dr. Stefan Dazert

Hals-Nasen-Ohrenklinik der Ruhr-Universität Bochum · St. Elisabeth Hospital ·

Bleichstraße 15 · 44787 Bochum ·

Email: s.dazert@mail.uni-wuerzburg.de